Hintergründe

«Die Menschen, die der Suggestionskraft des Traumas erliegen und sich selbst als Opfer deklarieren, sind zumeist keineswegs Lügner, die bewusst täuschen, sondern Menschen in einer Notsituation, die nach Überlebensstrategien greifen, von denen sie ahnen, dass sie ungeprüfte Akzeptanz finden.»
 
Hans Stoffels / Cecile Ernst, Erinnerung und Pseudoerinnerung, in: Der Nervenarzt 5/2002, Seite 448 
 
Mögliche Ursachen für falsche Erinnerungen an sexuellen Missbrauch
Falsche Erinnerungen
 sind das Produkt von Suggestionen. Sie sind deutlich zu unterscheiden von vorsätzlich vorgebrachen Lügen. Falsche Erinnerungen können auf verschiedene Weisen hervorgerufen oder begünstigt werden.
 
Identitätssuche des Klienten
Besonders Borderline-Patientinnen sind in ihrer Identität aufs tiefste verunsichert. Ein frühkindliches Trauma und die entsprechende Opferrolle bieten eine neue Sicherheit. Das heisst, die psychischen Probleme machen empfänglich für Diagnosen, die kaum auf ihren Wahrheitsgehalt hin hinterfragt werden. Die Verzweiflung kann so gross sein, dass die betreffende Person immer weiter in ihre neue Rolle schlüpft und diese auch emotional überzeugend lebt.
 
Gruppendruck
Nicht selten kommt es in therapeutischen Gruppensitzungen zu Ersterfahrungen mit einer bislang „verdrängten Erinnerung an einen sexuellen Missbrauch“.  Der persönliche Leidensdruck des einzelnen verbindet sich mit dem Angebot der Gruppe, Identität zu stiften. Es besteht die Gefahr, daß eine entsprechende, zunächst nur vermutete Diagnose zur Wahrheit erklärt und von anderen, die verzweifelt nach einem Grund für ihre Leiden suchen, unreflektiert übernommen
wird. Suggerierte Gedanken vermengen sich mit echter Erinnerung. Beides kann im nachhinein nur schwer wieder unterschieden werden.
 
Hypnose
Eine Hypnose öffnet den Menschen für das innere Reich seiner Gedanken und Gefühle. Sie gewährt keinen Zugang zu einer Art von Gedächtnis, das wie eine verborgene Festplatte das ganze Leben in seinen Einzelheiten festhalten würde. Hingegen können sich unter Hypnose gegenwärtige Erwartungen und Befürchtungen des Klienten wie des Therapeuten mit tatsächlich Erinnertem vermischen und auf diese Weise das Phänomen der Pseudoerinnerungen begünstigen.
 
Erwartungshaltung des Therapeuten
Der Theraupeut, die Therapeutin, suchen nach einer Erklärung für die Symptome ihrer Klienten. Eine Erklärung macht das Leiden verständlich und bietet eine Grundlage für die weitere Behandlung. Oft sehr allgemein gehaltene Kriterien können den oder die Behandelnde/n dazu führen, einen sexuellen Missbrauch hinter den Symptomen zu vermuten. Diese Vermutung hat ihrerseits Suggestionskraft, unterstützt durch das Vertrauen, das der Klient/ die Klienten in der Not dem Therapeuten entgegenbringt. Der Schritt von der Hypothese zu der Behauptung, so sei es gewesen, kann erschreckend klein sein.