Oft gestellte Fragen



Können Erinnerungen an einen sexuellen Missbrauch falsch sein?
 
Ja, denn die menschliche Erinnerung ist ebenso ein Spiegel der Gegenwart wie der Vergangenheit. Alt und Neu werden je nach Situation, Bedürfnis und Stimmung immer wieder miteinander kombiniert. Das verändert beides: den Blick auf die Gegenwart wie auf die Vergangenheit.
Klärende Rückfragen sind bei einem Missbrauchsvorwurf entscheidend:
 
Aus welcher Situation heraus wurde der Verdacht geäussert?
Wusste die Person jahrelang von nichts, und auf einmal tauchen die schwersten Vorwürfe auf?
Wurde aufgrund weitgefasster Symptome direkt auf ein solches Geschehen geschlossen?
Könnte eine psychische Erkrankung diese vermeintlichen Erinnerungen begünstigt haben und damit deren Ursache statt ihre Folge sein?
In vielen psychologischen Studien wurde nachgewiesen, dass man Menschen ohne viel Mühe falsche «Erinnerungen» beibringen kann. Wichtige Faktoren dabei sind die Empfänglichkeit der betreffenden Person und die Autorität dessen, der ihr das vermeintliche Geschehen nahelegt. Beides zusammen kann einen Nährboden bilden, auf dem falsche Erinnerungen entstehen. Dieser Boden ist umso verfänglicher, je weniger die so entstandenen Anschuldigungen hinterfragt werden. Familien zerbrechen darüber, einzelne Menschen – sehr oft die Väter – werden persönlich und beruflich ruiniert, und Gerichte haben schon verhängnisvolle Fehlurteile gefällt.
 
Ein Missbrauch kann unter heftigsten Gefühlen geschildert und mit tatsächlich Geschehenem vermengt werden und dennoch auf Suggestionen beruhen. Fachleute sprechen vom False-Memory-Syndrom.
 

Wie stellt der Verein sicher, dass nicht auch Täter unter seinen Klienten sind?
 
Das ist eine wichtige Frage, und wir sind uns der Problematik bewusst. Es könnte ja jemand probieren, sich ein psychologisch begründetes Alibi für ein tatsächliches Vergehen zu konstruieren.
Für uns teilt sich diese Frage in zwei Unterfragen auf: Wie gehen wir mit eingehenden Anfragen um, und woran kann man Falschanschuldigungen, insbesondere aufgrund von induzierten Erinnerungen, erkennen?
 
Wir begegnen jeder Anfrage mit einem neutralen Grundinteresse, aus dem heraus wir uns den Fall schildern lassen, und zwar von verschiedenen Beteiligten. So weitet sich die Wahrnehmung; im kleinen Team tauschen wir uns darüber aus. Enge Kontakte zur entsprechenden Beratungs­stelle in Deutschland und anderen Werken in der Schweiz helfen uns zusätzlich, den Einzelfall angemessen einzuschätzen. Zudem stehen uns verschiedene Fachpersonen aus Psychiatrie und Rechtspflege zur Seite, an die wir uns bei Bedarf wenden.
 
Gibt es Kennzeichen, anhand derer sich ein Fall von induzierten Erinnerungen von einem tat­sächlichen Missbrauchsfall frühzeitig abgrenzen lässt? 
Ja, die gibt es. Bei einer Missbrauchserinnerung, die in einer Therapie erzeugt wurde, weisen die Einzelfälle oft erschreckend ähnliche Muster auf. Bei den Gesprächen zeigt sich das zum Beispiel darin, dass die beschuldigten Personen nie probieren, sich zu rechtfertigen, sondern durchge­hend ein grosses Bedürfnis haben, sich in ihrer Not mitzuteilen. Verzweifelt versuchen sie, den Vorwürfen eine innere Logik abzugewinnen und der beschuldigende Tochter, um die es sich oft handelt, aus ihrer Not herauszuhelfen.
 
Auffällig ist ausserdem, dass es meist nicht die Be­schuldigten selber sind, die sich an uns wenden, sondern Menschen aus ihren Umfeld, die deren Leiden nicht mehr ohnmächtig zuschauen wollen. Es suchen also keine vermeintlichen Täter ihre Argumente für ein schräges Alibi, sondern mitfühlende Dritte suchen Ratschläge für eine Not, die sie nicht einordnen können, die sie aber auch nicht länger tatenlos hinnehmen wollen. – Wir haben eine Vielzahl derartiger Hinweise zusammengetragen, die uns helfen, unsere Klienten und ihre Fälle realistisch einzuschätzen.
 
Eine Beratungsstelle, an die sich schon über hundert Betroffene gewandt haben, weiss von kei­nem Fall zu berichten, wo sich nachweislich ein Straftäter Rat geholt hätte. Offenbar vermuten diese Menschen zu Recht, dass ihr Spiel nicht lange unentdeckt bliebe.
 
 

Wie kann man falsche von tatsächlichen Erinnerungen unterscheiden?
 
In seinem Aufsatz «Erinnerung und Pseudoerinnerung» ruft Professor Hans Stoffels aus Berlin zu Skepsis auf,
 
– „wenn Erwartungsdruck und entsprechende Suche vorausgehen,
– wenn diffuse Gefühle, Traumbilder und „Körpererinnerungen“ vorherrschen mit nachfolgendem visuellem Detailreichtum,
– wenn Missbrauch in der späten Kindheit und Adoleszenz angeblich vergessen (verdrängt) wurde,
– wenn Erinnerungen an die Zeit vor dem 3. Lebensjahr angegeben werden“. (Seite 449)
 
Renate Volbert schreibt in ihrem Buch «Beurteilung von Aussagen über Traumata», Seite 123:
 
„Als besonders problematisch sind vermeintlich wiederentdeckte Erinnerungen zu betrachten,
 
– wenn vor der Erinnerung bei der Person selbst oder im relevanten Umfeld die Annahme bestand, bislang nicht bekannte traumatische Erfahrungen müßten vorliegen,
– wenn mit oder ohne therapeutische Unterstützung explizite Bemühungen vorgenommen wurden, sich an nicht zugängliche Erlebnisse zu erinnern,
– wenn Erinnerungen erst im Lauf wiederholter Erinnerungsbemühungen entstanden sind,
– wenn im Laufe der Zeit immer mehr Erlebnisse berichtet werden,
– wenn Ereignisse aus den ersten beiden Lebensjahren erinnert werden,
– wenn die berichteten Ereignisse bizarre und extreme Erfahrungen beinhalten.“
 
Als weiteres Kriterium nennt sie, wenn es in der Zeit der bisherigen Gedächtnislücke „keine nach außen auffallende psychische oder soziale Beeinträchtigung“ gegeben hat (S. 124).
 
 

Wie kommt es zu falschen Erinnerungen?
 
Falsche Erinnerungen 
sind das Produkt von Suggestionen. Sie sind deutlich zu unterscheiden von vorsätzlich vorgebrachen Lügen. Falsche Erinnerungen können auf verschiedene Weisen hervorgerufen oder begünstigt werden.
 
Identitätssuche des Klienten
 
Besonders Borderline-Patientinnen sind in ihrer Identität aufs tiefste verunsichert. Ein frühkindliches Trauma und die entsprechende Opferrolle bieten eine neue Sicherheit. Das heisst, die psychischen Probleme machen empfänglich für Diagnosen, die kaum auf ihren Wahrheitsgehalt hin hinterfragt werden. Die Verzweiflung kann so gross sein, dass die betreffende Person immer weiter in ihre neue Rolle schlüpft und diese auch emotional überzeugend lebt.
 
Gruppendruck
 
Nicht selten kommt es in therapeutischen Gruppensitzungen zu Ersterfahrungen mit einer bislang «verdrängten Erinnerung an einen sexuellen Missbrauch».  Der persönliche Leidensdruck des einzelnen verbindet sich mit dem Angebot der Gruppe, Identität zu stiften. Es besteht die Gefahr, daß eine entsprechende, zunächst nur vermutete Diagnose zur Wahrheit erklärt und von anderen, die verzweifelt nach einem Grund für ihre Leiden suchen, unreflektiert übernommen wird. Suggerierte Gedanken vermengen sich mit echter Erinnerung. Beides kann im nachhinein nur schwer wieder unterschieden werden.
 
Hypnose
 
Eine Hypnose öffnet den Menschen für das innere Reich seiner Gedanken und Gefühle. Sie gewährt keinen Zugang zu einer Art von Gedächtnis, das wie eine verborgene Festplatte das ganze Leben in seinen Einzelheiten festhalten würde. Hingegen können sich unter Hypnose gegenwärtige Erwartungen und Befürchtungen des Klienten wie des Therapeuten mit tatsächlich Erinnertem vermischen und auf diese Weise das Phänomen der Pseudoerinnerungen begünstigen.
 
Erwartungshaltung des Therapeuten
 
Der Theraupeut, die Therapeutin, suchen nach einer Erklärung für die Symptome ihrer Klienten. Eine Erklärung macht das Leiden verständlich, sie bietet eine Grundlage für die weitere Behandlung, und sie gewährt dem Therapeuten eine Selbstbestätigung. Oft sehr allgemein gehaltene Kriterien können den oder die Behandelnde/n dazu führen, einen sexuellen Missbrauch hinter den Symptomen zu vermuten. Diese Vermutung hat ihrerseits Suggestionskraft, unterstützt durch das Vertrauen, das der Klient/ die Klienten in der Not dem Therapeuten entgegenbringt. Der Schritt von der Hypothese zu der Behauptung, so sei es gewesen, kann erschreckend klein sein.
 

Was will der Verein Sichtwechsel?
 
Der Verein Sichtwechsel will auf dem äusserst sensiblen Gebiet des sexuellen Missbrauchs über das Phänomen der falschen Erinnerungen aufklären; es ist im deutschsprachigen Raum noch weitgehend unbekannt. Der Verein will in keiner Weise das Leid von tatsächlichen Opfern kleinreden, sondern dazu beitragen, dass keine weiteren unnötigen Opfer produziert werden.
 
Der Verein berät Personen, die allem Anschein nach zu unrecht des sexuellen Missbrauchs beschuldigt werden.
Er hilft Menschen mit suggerierten Erinnerungen, wieder von ihnen freizukommen.
Er fördert die Vernetzung von Personen verschiedenster Fachbereiche.
Er klärt die Öffentlichkeit auf über das Phänomen induzierter Erinnerungen.
Er arbeitet eng mit verwandten Einrichtungen zusammen.
 

Was bietet der Verein Sichtwechsel?
 
Er berät zu unrecht Beschuldigte wie auch aussteigewillige Suggestionsopfer und vermittelt juristische, psychologische und seelsorgerische Hilfe.
Er fördert Publikationen, Austausch und Weiterbildung verschiedenster Fachgruppen und unterstützt entsprechende Angebote zur Sensibilisierung.
Er hält engen Kontakt zu anderen Stellen und Institutionen, um auf den Einzelfall bezogene vorurteilsfreie Hilfe gewähren zu können.
 

Wie finanziert sich diese Arbeit?
 
Die Beratungen für Betroffene sind grundsätzlich kostenlos. Das menschliche Leid ist gross genug, wir wollen in einer solchen Situation keine zusätzlichen finanziellen Belastungen hervorrufen.
Wir sind für unsere Arbeit darum auf Spenden angewiesen.
 
Das Steueramt des Kantons Aargau hat am 4. April 2014 die Gemeinnützigkeit des Vereins bestä­tigt. Spenden an den Verein werden damit schweizweit als freiwillige Zuwendung anerkannt und können steuerlich geltend gemacht werden.
 
Sie können uns auf folgende Weisen unterstützen:
 
über eine Mitgliedschaft im Verein
mit einer beliebigen Spende über unser Paypal- oder Bankkonto
als Gönner für eine oder mehrere Notfallberatungen
als Gönner für eine mehrmonatige Fallbegleitung.
Wir schicken Ihnen gern unser Projektblatt und stehen Ihnen für nähere Auskünfte zur Verfügung.